Überarbeiteter Artikel, der zuerst in der Oktoberausgabe von analyse & kritik veröffentlicht wurde
Wie bereits im März 2012 hatte lediglich die CGTP, die kommunistische Gewerkschaft, zum Streik am 14. November aufgerufen. Der sozialdemokratische Gewerkschaftsverband UGT hatte im Vorfeld erklärt, dass er sich nicht beteiligen wird. Nachdem spanische Gewerkschaften ebenfalls für den 14. November zu einem Generalstreik aufgerufen hatten, entwickelte sich eine europäische Mobilisierung und der Europäische Gewerkschaftsverband rief zu einem Aktionstag auf.
Der Generalstreik in Portugal selbst war wesentlich stärker spürbar als der letzte Generalstreik im März 2012. Die Streikbeteiligung bewegte sich (bei den Betrieben, die bestreikt wurden) zwischen 40-50% und 90%, und sie reichte über die CGTP hinaus. Auch unabhängige Gewerkschaften und selbst einzelne UGT-Gewerkschaften mobilisierten. Der öffentliche Sektor war lahmgelegt, insbesondere etwa der Nah- und Fernverkehr. Hier sind die Gewerkschaften besser organisiert. Im privaten Sektor war der Generalstreik, wie in allen bisherigen Generalstreiks, wesentlich schwächer. Das hat zum einen damit zu tun, dass die ArbeiterInnen schneller mit Entlassungen konfrontiert sind. Zum anderen ist in der Privatwirtschaft die Scheinselbständigkeit (sog. Grüne Scheine) sehr verbreitet.
Der Generalstreik wurde begleitet von zahlreichen Kundgebungen und Demonstration in vielen portugiesischen Städten, an denen einige zehntausend Menschen teilnahmen. Während die Proteste weitgehend friedlich abliefen, eskalierte die Demonstration in Lissabon vor dem Parlamentsgebäude, wobei es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und DemonstrantInnen kam. Zahlreiche DemonstrantInnen wurden festgenommen und einige PolizistInnen und DemonstrantInnen wurden verletzt. Derzeit ist noch offen, wie der Gewerkschaftsverband CGTP auf diesen Zwischenfall reagieren wird.
Die Streiks und Generalstreiks sowie begleitende Demonstrationen und Kundgebungen werden von den Gewerkschaften, mehrheitlich der kommunistische Gewerkschaftsverband CGTP, organisiert. Es finden kleinere Aktionen von den Bewegung der Empörten und anderen Gruppen statt (wie etwa Bewegung der Arbeitslosen). Ebenso mobilisieren etwa anarchosyndikalistische Gruppen zu den Streiks, wie z.B. Associação Internacional dos Trabalhadores – Secção Portuguesa (AIT-SP). Aber die hegemonialen Akteure sind die großen Gewerkschaften.
Bei den Protesttagen gibt es ein Nebeneinander von Aktionen, die von den linken Oppositionsparteien und den Gewerkschaften organisiert werden, und Aktionen, zu der unabhängigen Akteure aufrufen und eine sehr unterschiedliche starke Mobilisierung spontan entwickeln.
Während die PCP, die kommunistische Partei Portugals und der ihr nahestehende Gewerkschaftsverband CGTP eine gewachsene und feststehende Organisation und Milieu bilden, hat sich im unabhängigen Spektrum etwas ähnliches bis jetzt nicht gebildet. Es gibt zwar ein Netz an unabhängigen und linksradikalen Akteuren, aber gemeinsame Debatten und eine gemeinsame Strategie hat sich bis jetzt nicht eingestellt.
Die migrantischen ArbeiterInnen in Portugal sind einerseits sehr fragmentiert und andererseits arbeiten sie hauptsächlich in prekären Verhältnissen. Sie kommen in den Protesten, die von den traditionellen Akteuren organisiert werden, wenig vor. Lediglich in linksradikalen Aktionen, wie etwa dem Mayday, erhalten sie mehr Raum. Unter den prekären portugiesischen ArbeiterInnen gibt es Initiativen wie etwa «Movimento sem Emprego» und «Precários Inflexíveis». Als prekär Beschäftigte haben sie zwar teilweise an dem Generalstreik teilgenommen, aber ein sichtbare Gruppe waren sie nicht. Und in den Gewerkschaften ist es kaum ein Thema, dass sie nur einen Teil der ArbeiterInnen mobilisieren können.
Nach einigen ruhigen Monaten meldete sich in Portugal der Widerstand gegen die neoliberale Krisenpolitik bereits im September kraftvoll zurück. Am 15.9.2012 gingen in über 40 portugiesischen Städten mehr als 500.000 Menschen auf die Straße, um gegen die Spar- und Kürzungsprogramme zu demonstrieren. Anlass waren Pläne der konservativen Regierung, die Abgaben für ArbeiterInnen weiter zu erhöhen und Privatisierungen stärker zu forcieren. So sollten etwa die sozialen Versicherungssysteme stärker von den Beiträgen der ArbeiterInnen finanziert
werden, während Unternehmen entlastet werden.
Die Proteste waren initiiert von dem bisher eher unbekannten Netzwerk «Que se Lixe a Troika! Queremos as nossas Vidas» (frei übersetzt: «Fuck Troika! Reclaim our lifes»). Im Vorfeld war nicht abzusehen, wie umfangreich die Proteste sein werden. Ähnliche Aufrufe hatten in den letzten Monaten wenig Anklang gefunden. Allerdings sind inzwischen viele unpolitische oder konservative Menschen davon enttäuscht, dass die Regierung zuvor versprochen hatte, der Bevölkerung keine weiteren Einschnitte zuzumuten, und jetzt die Verschlechterung der Lebensverhältnisse kein Ende zu finden scheint.
Die Stimmung ist inzwischen wesentlich angespannter und die Protestierenden zeigen deutlichen Hass auf die Regierung und auf die Troika. Transparente und Schilder, die einzelnen Politikern (insbesondere dem Premierminister Coelho) den Tod wünschen, häufen sich. Nationalistische und populistische Parolen sind bei den Krisenprotesten vermehrt zu hören, während mehr Menschen Portugalfahnen tragen – eine Erscheinung, die im März 2011 noch eine Seltenheit war. Noch ist es nicht abzuschätzen, ob dies daher rührt, dass mehr ehemalige WählerInnen der konservativen Parteien auf der Straße sind oder ob sich der politische Tendenz der die Protestbewegung insgesamt sich verschiebt.
Bisher – das hatte auch der 14. November wieder gezeigt – wird Europa nicht als Feind angesehen, ja nicht mal Deutschland. Es wird mehrheitlich erkannt, dass die politischen und ökonomischen Eliten in der EU und ihre neoliberale Politik ursächlich sind für die Verschlechterung der Lebensverhältnisse. Und die gewachsene Kooperation und Vernetzung zwischen portugiesischen und spanischen Akteuren weist ebenfalls in eine positive Richtung.
Die Wut auf die portugiesische Regierung und die Troika hat aber auch handfeste Gründe. Die Armut und Arbeitslosigkeit wächst und die Wirtschaftsleistung schrumpft. Selbst aus einer neoliberalen Perspektive ist das Scheitern der bisherigen Krisenpolitik nicht zu übersehen. Die Regierung kann keine konkreten Auswege aus der Krise anbieten. Wie schon bei den Märzprotesten 2011 entwickelt sich aus dem Massenprotest eine politische Krise. Der kleinere Koalitionspartner, die rechtskonservative CDS-PP, kritisierte die zusätzlichen Austeritätsmaßnahmen, um sich für die nächsten Wahlen als die sozialere der beiden konservativen Parteien aufzustellen. Auch wenn diese verbale Distanzierung vorerst keine politischen Folgen beinhaltet und es zu erwarten ist, dass die CDS-PP bei den Abstimmungen im Parlament letztlich den Maßnahmen zustimmen wird, ist die Koalitionskrise nicht zu übersehen.
Mittlerweile hat die Regierung durch den Druck der Proteste einige der letzten Austeritätsmaßnahmen indes zurückgenommen, so etwa die Umstellung der sozialen Versicherungssysteme. Die Proteste gingen trotzdem weiter. Am 29. September mobilisierte der kommunistische Gewerkschaftsverband CGTP zu einer zentralen Demonstration, an der hunderttausende Menschen teilgenommen haben. Die Demonstration fand zeitgleich mit Protesten in vielen europäischen Ländern statt, so etwa in Spanien und Deutschland. Danach hatte die CGTP für den 5. bis 13. Oktober einen Sternmarsch quer durch Portugal angesetzt, der dann in der Hauptstadt zusammentraf.
Die Massenproteste mit hunderttausenden Demonstranten und die Generalstreiks, an denen sich
mehr als eine Million Menschen (Ein Zehntel der Bevölkerung!) beteiligen, sind recht eindrucksvoll. So ist es nicht sonderlich überraschend, dass etwa deutsche Linke sehnsüchtig in den europäischen Süden blicken. Allerdings verrät ein genauer Blick auf die bisherigen Kämpfe die Schwächen und Grenzen. Bisher konnte die konservative Regierung die größeren Proteste und Streiks aussitzen, weil diese als Einzelspektakel keine nachhaltige Wirkung erzielen konnten. Es haben sich bisher wenig dauerhafte und lokal verankerte Netzwerke entwickelt, die längerfristig und stetig den Kampf gegen die neoliberale Politik organisieren. Stattdessen dienen die Massenproteste in vielen Fällen zum «Dampf ablassen».
Zwei Aspekte führen dazu, dass die Proteste bisher wenig politische Auswirkung hatten. Zum Ersten wählt eine überwiegende Mehrheit der PortugiesInnen nach wie vor sozialdemokratisch oder konservativ – und damit die Parteien, die für die Fortführung der neoliberalen Politik stehen. Weder die Kommunistische Partei Portugals (PCP) noch der linkssozialdemokratische Bloco de Esquerda (BE) konnte aus der Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik Wählerstimmen schöpfen – der BE hat sogar massiv an Wählerstimmen verloren.
Der zweite Aspekt hängt mit den linken Oppositionsparteien PCP und BE selbst zusammen. Beiden Parteien gelingt es – aus unterschiedlichen Gründen – nicht, eine ehrliche und für beide Seiten gute Kooperation mit den Protestbewegungen zu etablieren. Die PCP will (oder kann) ihren Führungsanspruch nicht aufgeben und versucht vielfach die von ihr unabhängigen Aktionen, Vernetzungen und Organisationen auszubooten oder einzuverleiben. Die BE wiederum versucht wiederholt mit der sozialdemokratischen Partei (PS) zu kooperieren, so etwa durch Angebote eine sozialdemokratische Minderheitsregierung zu tolerieren, die ebenfalls ein neoliberales Austeritätsprogramm verfolgte. Solche Angebote der BE führen dazu, dass die Menschen, die derzeit gegen solche Programme protestieren und streiken, wenig Anreize haben, die BE zu wählen oder gar mit ihr zu kooperieren. Der massive Verlust an Wählerstimmen bei den letzten Wahlen dürfte damit zusammenhängen.
Derzeit ist nicht abzusehen, ob und wie sich diese Zwickmühle auflöst und die Proteste gegen die neoliberale Krisenpolitik an politischer Bedeutung gewinnen können. Glücklicherweise konnten bisher rechtspopulistische und faschistische Akteure nicht zulegen, wie etwa in Griechenland. Ob dies aber so bleibt, ist offen.